Der therapeutische Prozess (14.08.2024)

Ich denke bei einem psychotherapeutischen Prozess an eine Bergwanderung. Man läuft teils steile und steinige Wegstücke ohne Beschilderung herauf. An manchen Wegstücken weiß man nicht auf welchem Abschnitt des Weges man sich gerade befindet und wie weit weg der so lang ersehnte Gipfel noch ist. Aber es gibt auch kleine Ausblickspunkte und die Möglichkeit zurück zu blicken und zu sehen, welcher Weg bereits hinter einem liegt und wie viele Fortschritte man gemacht hat. Und eines Tages (manchmal ganz überraschend und plötzlich oder ohne das man es gleich bemerkt) kommt man oben an - zu dem ersehnten Weitblick und zu der emotionalen Erleichterung. 
 Aber wie genau läuft der therapeutische Prozess in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie nun ab? 
 Der Beginn besteht vor allem in der Bewusstwerdung. Das bedeutet, dass erst einmal viel auf der kognitiven Ebene stattfindet. Zunächst einmal geht es darum Muster zu erkennen. Muster im Erleben, Verhalten und in Beziehungen. Was fühle ich häufig? Was gar nicht? Was "passiert mir" immer wieder in Beziehungen? Wie verhalte ich mich häufig? Wie selten oder gar nicht? Hierfür ist eine genaue Beobachtung, Reflektion und Spiegelung in der Therapie notwendig. Zur Mustererkennung gehört auch zu verstehen woher diese Muster kommen und wieso sie einmal nützlich waren. Die sogenannte Funktionalität in der Dysfunktionalität. Ein Beispiel: 
 Ich könnte beispielsweise sehr gut darin sein die Gefühle und Bedürfnisse anderer zu erkennen und zu erfüllen. Das könnte darin begründet sein, dass ich glaube nur so Beziehungen schützen zu können. Meine Eltern hätten beispielsweise immer mit Liebesentzug reagieren können, wenn ich mich "falsch" verhalten habe. Somit bin ich innerlich der Überzeugung, dass ich alles "perfekt" machen muss, um die Bindung (von der ich als Kind existenziell abhängig bin) zu behalten. Das bedeutet gleichzeitig, dass ich meine eigenen Gefühle und Bedürfnisse zurückstelle oder gar nicht erst gut wahrnehme. Der dann folgende Punkt ist eine Entscheidung- für oder gegen eine bewusste Veränderung. Beides führt zwangsläufig zu einer Veränderung, weil ich einiges verstanden und mich bewusst entschieden habe. Gleichwohl ist die emotionale Veränderung und die deutliche Symptomverbesserung häufig abhängig von neuen Beziehungs-, Verhaltens und Erlebensmustern. Bei der bewussten Veränderung geht es darum, dass ich die erkannten Muster anpasse und neue Muster zulasse. Im oben genannten Beispiel wäre eine deutliche Veränderung die eigene Bedürfnisäußerung und oder eine verbesserte Abgrenzung. Dies wird sich zunächst "falsch" und schwierig anfühlen und erst mit vielen vielen neuen guten Erfahrungen - wenn mir also häufig ein Mensch oder viele Menschen "beweisen", dass ich geliebt werde, obwohl oder weil ich mich zeige und auch dann wenn es gerade konflikthaft mit mir wird - erst dann kommt die emotionale Erleichterung und Symptomverbesserung als letzter wichtiger Punkt in einer Psychotherapie. 

Wichtig ist hier, dass dies eine sehr allgemeine Beschreibung eines Wunschablaufes in der tiefenpsychologisch fundierten Therapie ist. Der Prozess unterscheidet sich je nach Fokus- so ist bei einem sogenannten Strukturfokus viel mehr im Fokus "strukturelle Fähigkeiten" aufzubauen oder zu stärken. Das wäre sowas wie Emotionswahrnehmung und Emotionsäußerung. Bei einem Konfliktfokus geht es bei der Bewusstwerdung und Veränderung mehr um zwei sich scheinbar widersprechende Instanzen - beim obigen Beispiel wäre das am ehesten Abhängigkeit (Bindung) und Autonomie. 
 Beim Traumafokus ist der Prozess wieder vollständig anders - es wirkt alles etwas unstrukturierter. 
 Wir nehmen mal das Bild eines schönen Puzzles.
 Beim Strukturfokus können wir uns dann vorstellen: es fehlen manche Teile eines Puzzles, die wir gemeinsam basteln und aufbauen wollen. Beim Konfliktfokus muss das richtige Zusammensetzen ausprobiert und erprobt werden. Bei TraumapatientInnen erscheint es mir so als lägen da viele viele Puzzleteile. Manche dieser Puzzleteile wirken vollständig kaputt, andere gehören gar nicht in dieses Puzzle und wieder andere sind super schön, perfekt aber manchmal am nächsten Tag nicht mehr auffindbar. 
 Hier ist erstmal wichtig, dass überhaupt eine Arbeit am Puzzle möglich ist. Dafür braucht es Zeit, Aufbau von Vertrauen und Sortierung der vielen Puzzleteile.
 
Da jeder Mensch ein Individuum ist, ist außerdem jeder Prozess ganz individuell und einzigartig. Und jeder Mensch hat das Recht auf seinen/ihren ganz eigenen Prozess.
 

C.G. Jung (18.01.2024) 

Inspiriert durch ein Gespräch möchte ich gerne kurz die Arbeit von C.G. Jung anreißen.
Mein Leitspruch, welcher Ihnen am Anfang der Homepage aufgefallen ist, ist ja ebenfalls von ihm. 

 “Man wird nicht erleuchtet, indem man sich Lichtfiguren vorstellt, sondern  durch die Bewusstwerdung der Dunkelheit. Das letztere Verfahren ist jedoch unangenehm und daher nicht sonderlich beliebt.” 
Carl Gustav Jung arbeitete eine Zeit lang mit Sigmund Freud zusammen und entwickelte gemeinsam mit ihm verschiedenste Erkenntnisse im Bereich der Psychologie und Psychotherapie/Psychoanalyse. Er entwickelte im Laufe seiner Karriere den Begriff des kollektiven Unbewussten und arbeitete die Archetypen aus. Auslöser dessen waren sowohl eigene als auch von PatientInnen berichtete Träume. Archetypen sind nach C.G. Jung psychische Energien des Kollektiven Unbewussten. Sie drücken sich aus in Bildern und Symbolen universaler Menschheitserfahrungen – z.B. Mutter, Kind, Weg, Wachstum, Leben, Tod - und werden in diesen erfahrbar. Ein Säugling ist demnach nicht der Nullpunkt, sondern bringt schon eine komplexe Lebensmatrix mit sich.
In meiner Arbeit hat C.G. Jung vor allem in der Haltung und auch in der Arbeit mit Träumen Platz. So empfinde ich das kollektive Unbewusste als auch die Unterscheidung auf Selbst- und Objektstufe in Träumen oft sehr hilfreich.
Zur Veranschaulichung zur Selbst- und Objektstufe gerne wieder ein Patientenbeispiel: ein junger Mann war bereits seit mehreren Wochen in meiner Psychotherapie. Im Kontakt eher schroff, distanziert wirkend und im ersten Zugang wird wenig Zugänglichkeit zu Gefühlen deutlich. Er berichtet mir in einer Therapiesitzung von einem wiederkehrenden Traum. Er stehe vor einem großen, breiten und tiefen Abgrund und auf der anderen Seite befinde sich eine Frau. Diese Frau könne er nicht richtig sehen/erkennen und vor allem nicht greifen. Hier hätte es sicherlich viel Rum für Analyse des Traums gegeben - mir kam jedoch recht schnell C.G. Jung und seine Unterscheidung der Selbst- und Objektstufe in den Sinn, welche ich dem Patienten erklärte. Ich deutete auf der Selbststufe, dass es sich hierbei um einen Teil seiner Selbst (seine weibliche/sanfte Seite) handeln könnte, zu welcher er aktuell wenig bis keinen Zugang hat oder zulässt. 

Der Abschied innerhalb einer Therapiebeziehung (07.01.2024)

Der Abschied innerhalb einer therapeutischen Beziehung ist so unterschiedlich, wie die Beziehung wohl selbst unterschiedlich ist. In manchen Fällen, ist es wichtig bereits früh über das Thema Abschied zu sprechen. Auch ist es manchmal wichtig, diesem Thema ganze Stunden einzuräumen. Denn auch hier kann es sein, dass dies verschiedene biografische Themen weckt und innerliche und unbewusste Gefühle oder Konflikte zu Tage treten. Es ist außerdem keinesfalls so, dass der Therapeut/ die Therapeutin aus dem Thema Abschied ausgeschlossen ist. So werden meist auch auf professioneller Seite unterschiedliche Themen und Gefühle spürbar. Wenn das Thema Abschied ein bedeutsames in der Geschichte der PatientIn darstellt, kann es auch zu starken Gegenübertragungsgefühlen kommen. Hier ist es wichtig diese anzubieten und mit PatientIn zu besprechen, um eine gute Bewusstwerdung und Einordnung zu ermöglichen. Ein Beispiel: Der Abschied einer Patientin rückt in greifbare Nähe und ich habe diesen mehrfach thematisiert. Ich bekomme das Gefühl, dass die Patientin kein Interesse hat über den kommenden Abschied zu sprechen und erlebe sie als ausweichend und ablenkend. In mir spüre ich jedoch eine stärker werdende Traurigkeit. In der nachfolgenden Sitzung, stelle ich der Patientin diese Gefühle zur Verfügung. An dieser Stelle könnte gleichzeitig auch schon angeboten werden, wieso ich dieses Verhalten vermute. Die Patientin zeigt sich stark bewegt und aufgebracht. In der gemeinsamen Bearbeitung wird ersichtlich, dass sie das Thema Abschied aufgrund der schwerwiegenden biografischen Erfahrungen, welche von Verlusten und Alleingelassen werden geprägt waren, vermieden hat. Hieran konnte eine gute Aufarbeitung mit dem Schwerpunkt Abschied und Verlust erfolgen und am Ende ein guter Abschied innerhalb der therapeutischen Beziehung gelingen. Denn auch dies verstehe ich als eine wichtige Aufgabe innerhalb der Therapie. Diese sollte - soweit möglich - in einem "guten" Abschied enden. Ein guter Abschied bedeutet, dass die Beziehung innerlich als gute Beziehung (Objektrepräsentanz) weiter besteht und ein Vorzeichen für andere Beziehungen und andere Abschiede/Trennungen sein kann.


Die therapeutische Beziehung (12.08.2023)

Was ist das eigentliche eine therapeutische Beziehung? Und wieso wird das vor allem im Rahmen einer Psychotherapie so häufig und so intensiv thematisiert?
In der Psychotherapie wird - wie in allen Wissenschaften - viel Forschung betrieben. Und in der sogenannten Psychotherapieforschung, wurde bereits sehr früh und bis heute vielfach nachgewiesen, dass der wichtigste Faktor zum "Funktionieren" einer psychotherapeutischen Behandlung die therapeutische Beziehung ist. Ihnen ist vielleicht bereits begegnet, dass "wir Psychotherapeuten" über die Psychotherapeutische Sprechstunde und Probatorische Phase aufklären. Falls Ja, wissen Sie bereits, dass gerade diese für einen ersten Eindruck des therapeutischen Bündnisses sorgen soll. In eben dieser Phase entscheidet sich - für beide Seiten - ob eine ambulante Psychotherapie in dieser Praxis sinnvoll ist. Hierbei ist natürlich nicht nur die therapeutische Beziehung, sondern unter anderem auch Symptomatik und indiziertes Therapiesetting und -verfahren entscheidend. Aber eben auch das erste Gefühl miteinander. Ich lade PatientInnen, welche neu in meine Praxis kommen, deswegen sehr bewusst und mehrfach dazu ein, dieses Gefühl genau zu betrachten und eine bewusste Entscheidung dafür oder dagegen zu treffen. Genauso kläre ich darüber auf, dass auch ich Indikation und Beziehung prüfe und wir am Ende der probatorischen Phase eine Entscheidung über einen Antrag auf ambulante Psychotherapie in dieser Praxis stellen. 
Warum das eigentlich so entscheidend ist, hat sicherlich verschiedene Faktoren. So ist ein wirkliches "Öffnen" wohl nicht möglich, wenn sich mein Gegenüber für mich gänzlich unsympathisch und unangenehm anfühlt. Gleichzeitig, ist die Übertragung und wie erfolgsversprechend eine Therapie bewertet wird, entscheidend. Mit Übertragung ist grob gemeint, was der/die TherapeutIn in mir auslöst und was diese wiederum wahrnimmt und erlebt und wie all das innerhalb der Sitzung besprechbar gemacht werden kann. Es ist nämlich nicht entscheidend, dass ich nur positive Gefühle und Gedanken mit meiner/m TherapeutIn erlebe - ganz im Gegenteil -, sondern wie sowohl positives als auch negatives Empfinden mit meiner/m TherapeutIn besprochen werden kann. 
Ein Beispiel: Eine Patientin erlebt mich als Therapeutin desinteressiert. Dieses Desinteresse erinnert sie an frühere Beziehungserfahrungen in Partnerschaften und ja wenn sie ganz ehrlich ist, vielleicht auch an ihren Vater. Ich habe gleichzeitig das Gefühl nicht richtig an die Patientin heranzukommen, ich spüre plötzlich Langeweile und habe nach vielen Fragen und wenig Rückmeldung, den Impuls mich während der Sitzung innerlich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Ich bemerke und reflektiere das und thematisiere daher in der nächsten Sitzung, dass ich zurzeit das Gefühl habe nicht sonderlich viel von ihr zu erfahren. Gleichzeitig beschreibe ich, dass dies wiederum den Impuls auslöst mich ebenfalls abzuwenden.  Ich spiegele ihr im Laufe der Sitzung dann anhand verschiedener Situationen innerhalb der letzten Sitzungen wie dieses Gefühl entstanden ist. Die Patientin schafft es hierdurch ihr Gefühl, dass ich desinteressiert sei, Preis zu geben und somit an frühe und tiefe Verletzungen heranzukommen. Gleichzeitig kann sie hierdurch verstehen, welchen Anteil sie an ihren wiederkehrenden Beziehungserfahrungen hat und schafft es durch die "Übertragungsbeziehung" früh verankerte Beziehungsmuster zu verstehen und zu verändern. 
Ich denke dieses Beispiel konnte verinnerlichen, wie tiefschürfend und zeitweise hoch emotional so eine Psychotherapie sein kann. Und das ist - meiner Meinung nach - der letzte und entscheidende Grund für die hohe Relevanz einer guten und stabilen therapeutischen Beziehung.